Profil ist die letzte Patrone von Print

Qualitätsjournalismus – ich bekomme langsam Ausschlag von diesem Wort. Andauernd wird über die Beschaffenheit des Journalismus debattiert, darüber, wer die „guten“ Medien sind und warum. Was sie von „schlechten“ abgrenzt und so weiter. Ach, und überhaupt sind ja Blogs für Viele sowas wie die schriftgewordene Gosse – übrigens auch für viele Journalisten. Nicht jeder kann es offenbar verwinden, dass man für tolle Blog-Schreibe kein Henri-Nannen-Diplom braucht.

Worum geht es also: Geradezu gebetsmühlenhaft betonen Printmedien derzeit, dass man ja selbstverständlich„Qualitätsjournalismus“ herstelle – so, als wäre es unglaublich wichtig, darauf hinzuweisen.

Zuerst mal: Der Begriff „Qualitätsjournalismus“ ist Schwachsinn.

Warum muss ein „Spiegel“, „Stern“ oder die „Süddeutsche“ oder meinetwegen auch jede ordentliche Tageszeitung oder jedes Fachmedium dauernd vor sich hertragen, dass er/sie/es „Qualitätsjournalismus“ anbietet? Das erwartet man schließlich. Dafür kauft man sie. Alles andere wäre zumindest merkwürdig. Oder ist man sich seiner eigenen Sache am Ende gar nicht mehr so sicher?

Journalismus, wenn er authentisch ist und mit kritischer Distanz Hintergründe beleuchtet, ist per se Qualität. Das muss man nicht extra betonen, es sei denn, man will sich lächerlich machen.

Aber das ist nur eine Seite, denn die Printmedien haben ein viel gravierenderes Problem: Sie selbst bieten kaum noch die Qualität, zu der sie eigentlich fähig sein müssten. Sie bieten kaum noch Gründe, sie zu kaufen. Sie bieten in breiter Front ein jämmerliches Schauspiel.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich gibt es immer noch viel Gutes zu lesen. Natürlich sitzen in München und in Hamburg und in Berlin, in Trier und Oberammergau gute Journalisten; die können ja auch nicht alle von heute auf morgen das Handwerk verlernt haben. Und natürlich werden trotz Anzeigenkrise immer noch gute Magazine gemacht – ok, vielleicht nicht gerade „Business Punk“.

Doch vielen Zeitschriften, Fachtiteln und Tageszeitungen ist etwas Existenzielles abhanden gekommen: Ihr Profil. Und damit ihre Identität, der Boden, auf dem sie stehen. Und das ist das eigentliche Qualitätsproblem. Unter „Profil zeigen“ verstehe ich selbstredend nicht, mit einer netten Gruppe auf Facebook herum zu schlumpfen oder 12 Stunden nach dem Chemielaster-Unfall zum ersten Mal darüber zu twittern.

An Elementarem krankt es bei den Printmedien: Sie trauen sich nichts mehr. Sie führen keine Debatten mehr. Sie lösen nicht mal mehr welche aus. Und schlimmer noch: Sie greifen naheliegende Themen immer häufiger alibihaft auf. Wenn sie sie überhaupt erkennen. „Der Leser wird es schon nicht merken“, könnte eine der Gegenwartsmaximen sein…was für eine eklatante Fehleinschätzung!

Gerade in diesen Tagen wird das Manko besonders deutlich: Die Bespitzelungs-Affäre, in der sich die jenseits meiner Respekt-Schwelle befindliche Klatsch-Postille „Bunte“ und der „Stern“ eine heftige, in dieser Form noch nicht da gewesene und daher richtungsweisende Auseinandersetzung liefern, wird von den Fachmedien beispielsweise sträflich übergangen, von ein paar blassen Kommentaren einmal abgesehen. Lediglich diverse überregionale Tageszeitungen und die „taz“ haben das Thema ganz ordentlich aufgespießt. Ansonsten: Schweigen im Blätterwald.

Hallo? DAS ist nun wirklich ein Thema, das man aus vielen Blickwinkeln beleuchten könnte, ja müsste, eigentlich UNBEDINGT müsste, wenn…ja wenn es nicht diese panische Angst gäbe, es sich mit den großen deutschen Publikumsverlagen und deren Anzeigenmarketing komplett zu verscherzen. Die natürlich niemand ausspricht. Die aber beweist, dass Anzeigen und Redaktion anno 2010 landauf landab einfach zu nahe beisammen liegen.

Ich habe in den letzten Monaten gezielt die Presselandschaft durchlesen, um mir ein Bild zu machen: Selbst die von mir einst so geschätzte „Süddeutsche“ kommt viel zu oft beliebig daher, beim „Spiegel“ stellt sich die Ernüchterung über den Kauf auch so schnell wie noch nie ein. Besonders dann, wenn die Titelgeschichte mal wieder Grundsätzliches über das Leben im Web versprach – und nicht halten konnte. Der „Focus“ – trotz Relaunch ein Schatten früherer Tage. Auch in den Fachmedien ein schmerzhaftes Siechtum zwischen Agenturmeldungen und Verkündungsjournalismus. Über den bemitleidenswerten Zustand vieler Lokalzeitungen habe ich mich bereits ausgelassen…(siehe Blogpost vom 25.1.)

Nichts gegen die vom Internet verursachten Leserverluste tun können, ist das Eine. Vielleicht nicht wissen, wie man ein Printprodukt und eine Online-Präsenz synergetisch verknüpft – auch noch ok. Aber das eigene Terrain aufzugeben, in der Belanglosigkeit dahin zu suppen, bei Interviews bestenfalls noch den Stichwortgeber statt den gut informierten, unbequemen Rechercheur zu geben – das ist unentschuldbar. Darin liegt das eigentliche Scheitern, nicht in der veränderten Mediennutzung oder dem Umschichten von Kommunikationsinvestments. Gutes Themensetting ist keine Frage des internen Budgets!

Die größte Bedrohung der Printmedien sind die Printmedien selbst.

Was also tun? „Die Zukunft des Journalismus heißt Journalismus“, hat Christian Jakubetz treffend gebloggt. Wir brauchen wieder Medien, die sich was trauen. Die nicht nur in den Sonntagsausgaben zu großer Form auflaufen. Medien, die mit Lust und Chuzpe an die Sache rangehen und sich nicht von Anzeigenkunden den letzten Rest Rückgrat ausbeinen lassen.

Und wir brauchen wieder mehr echte Autoren. Autoren, die man auch lässt, die das Besondere schreiben dürfen – und damit auch ganz ganz dringend bessere Führungskräfte, souveränere Chefredakteure, Magazinmanager, Blattmacher, die das so wollen und ihre Leute entsprechend anleiten. Keine, die Text um die Anzeigen drapieren lassen. Solche, denen es um die Inhalte geht. Solche, die Themen erkennen. Die die wirtschaftlichen Zwänge nicht als Alibi für die eigene Orientierungslosigkeit missbrauchen. Die noch Journalisten sind.

Übrigens finde ich es fast schon drollig, dass gerade bei Tageszeitungen derzeit wieder über die Vorzüge der „Autorenzeitung“ als Weg aus der Aufmerksamkeitserosion nachgedacht wird. Das stand vor gefühlten 10 Jahren schon auf dem Plan und war auch damals nicht wirklich verkehrt, bloß wurde es so gut wie nirgends sinnvoll umgesetzt.

Den schmalen Grat zwischen Schaffen und Scheitern hat Adolf Theobald, der frühere Capital-Chefredakteur, schon vor etlichen Jahren klar abgesteckt: „Ein Magazin braucht eine Aussage.“ Also Profil, Profil, Profil – statt immer nur Fakten, Fakten, Fakten. Wenn das Profil stimmt und erkennbar nach draußen dringt, kommen auch wieder mehr Anzeigen. Wahrscheinlich nicht mehr so viele wie früher. Aber vielleicht mehr als ohne Qualität. Theobalds Gesetz hat nichts von seiner Aktualität verloren.

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